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Lesung auf der Schaukel. Foto: Maik Altenburg

Das Literarische Erntefest

25.9.21, Samstag. Autor*innen und Speicher-Team haben sich intensiv auf das Literarische Erntefest vorbereitet: Vom Nachmittag bis in den späten Abend wird das Dorf zur Lesebühne: Die Kirche, der Platz unter der  großen Kastanie auf dem Gutshof, der Spielplatz, das Dorfbackhaus und die Speicher-Kneipe sind Schauplätze für ein Literatur-Event wie es Wulkow noch nicht erlebt hat. Und: es sind viele Texte, in denen sich das Dorf wiedererkennt – Ah- und Oh-Effekte en masse!

Ein Rindvieh in der Kirche

 Den Anfang machen Connie Roters und Heidi Ramlow in der Dorfkirche mit zwei Geschichten, die unterschiedlicher nicht sein können. Connie Roters erzählt eindringlich und berührend über eine Frau, die nach einem schweren Schicksalsschlag Zuflucht und Ruhe in einem abgelegenen Dorf findet.  Heidi Ramlow liefert das Kontrastprogramm und schickt einen Stier aus der örtlichen Rinderherde durch das Dorf und in die nahe Stadt – verfolgt von messerwetzenden Bösewichtern. Eine comichafte Story, mit Inbrunst vorgetragen – Heidi ist halt gelernte Schauspielerin. Die meisten Lacher gibt es, als der ausgebüxte Stier sich ausgerechnet in die Dorfkirche verirrt und auf die Organistin trifft, die im Text genau das tut, was sie vor wenigen Minuten in der Wirklichkeit zur Umrahmung tat: nämlich Orgel spielen.  Ein wunderbares Dorfporträt aus der Sicht eines Rindviehs – wo sonst kriegt man sowas schon geboten?

Auf dem Gutshof, unter der großen Kastanie vor der Schlossruine geht es weiter. Maik Altenburg ist mit Lyrik dabei. Sein großes Thema: „Die Flüssin“, die Oder als „geheimnisvolles rastloses Weib“.  Jol Rosenberg präsentiert am passenden Ort eine Erzählung über eben jene Schlossruine, die sich auf wundersame Weise selbst zu reparieren scheint, raffiniert verwoben mit der magischen Selbstbegegnung einer Ich-Erzählerin.  

Das Folk-Rock-Duo Hoedown aus dem Nachbardorf Altzeschdorf spielt Songs aus der Neil-Young-Ära und Eigenes, schlägt musikalische Brücken zu den jeweils nächsten Schauplätzen und leitet die Publikumswanderung.

Liebe, Land und Baugutachter

Auf der Schaukel eines Spielplatzes liest Gloria Ballhause eine Science-Fiction-Story mit Wulkow-Bezug. Auch Maik Gerecke macht eine Schlossruine zur Kulisse: Indem er einen Baugutachter im Dorf seine Verflossene wiederfinden lässt – aus alten Berliner Hausbesetzerzeiten. Ute Apitz erntet viele Lacher mit einer lustigen Geschichte über die Angst vor freilaufenden Rindviechern in den Oderwiesen.

Am Dorfbackhaus schließlich präsentiert Ursula Kramm-Konowalow Gedichte mit Landschaftsbezug. Kerstin Finkelstein trägt einen Essay vor, der Wulkow als Anlass nimmt, sich über ihre Schreibgründe klarzuwerden.

Später abends in der Kneipe:  Weiter geht es mit Musik von Hoedown und weiteren Texten. Heinrich von der Haar liefert die Ich-Erzählung über das Staunen eines älteren Herrn über einen modernen frauengeführten Landwirtschaftsbetrieb. Zu vorgerückter Stunde tritt Maik Altenburg noch einmal ans Mikro und zündet zum Schluss einen lyrischen Feuerwerkskörper: mit einer Ode an eine imaginäre Baronin in einer Schlossruine.

Es ist ein mehr als fünfstündiges Lesefest, das an diesem Nachmittag und Abend vor der Bundestagswahl stattfindet. Publikum kommt, bleibt, geht und wechselt – an manchen Stationen sind es mehr als zwanzig Zuhörerinnen und Zuhörer. Gar nicht so übel, meint der Veranstalter. In Wulkow selbst leben gerade einmal 200 Menschen.

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